vor 100 Jahren - 1. Weltkrieg - Kühlsen 1914
 
 
Januar und Februar brachten uns lange Wochen hindurch strengen Frost. Infolgedessen müssen viele Stücke Land, die mit Winterfrucht oder Klee bestellt waren, umgemacht werden. Die Frühlingsbestellung vollzieht sich bei dem günstigen Wetter ziemlich schnell.


(Anmerkung: Ab hier ändert sich dann die Handschrift, ein anderer Chronist hat also die Zeilen weiter geschrieben, und es wurde zum ersten Mal Tinte zum Schreiben benutzt)


Mitten hinein in den friedlich – schönen Sommer 1914 platzte wie eine Bombe die erschütternde Nachricht von dem grausigen Fürstenmorde zu Serajewo. Tiefes Mitleid erfüllte alle, und man bedauerte aufrichtig das herbe Geschick des greisen Herrschers in Wien und der so früh verwaisten Kinder. Und nun begann die Arbeit der Diplomaten. Serbien gab den Forderungen Österreichs nicht nach, da Rußland ihm den Nacken steifte. Darum sah sich die Donaumonarchie veranlasst, dem widerspenstigen Serbien den Krieg zu erklären. Rußlands feindliche Haltung uns gegenüber zwang unsern Kaiser zur Kriegserklärung an das Zarenreich. Es folgten dann in wenigen Tagen die Kriegserklärungen zwischen uns und Frankreich, England, Belgien, Serbien, Montenegro und Japan. Italien blieb neutral, und stets wurde die Frage gestellt: "Wozu haben wir einen Dreibund?" Doch seit der Marokkokrise war Italiens Haltung vorauszusehen. Dann hörte man auch wieder: „Was haben wir mit England?" Ja, das war die treibende Macht, die wir – leider – zu Anfang des Ringens zu sehr unterschätzt haben. Der Krieg wäre doch gekommen, wenn nicht 1914, dann etwas später – auch ohne den Fürstenmord von Serajewo. Deutschland war seinen Nachbarn ein Dorn im Auge, ein zu gewaltiger Konkurrent auf dem Weltmarkte. So standen wir dann vor der nackten Tatsache: Krieg! Eine Aufregung sondergleichen bemächtigte sich des ganzen Dorfes. Hierhin kamen die neuesten Bekanntmachungen, und ein jeder wollte wissen, ob die Neuerung auch ihn betraf, ob man auch seine Dienste haben wollte. Mütter und Frauen, die ihre Söhne und Männer hergeben sollten, standen weinend zusammen. Die Militärpflichtigen holten ihre Papiere hervor und studierten die angeschlagenen Bestimmungen. Autos sausten heran und brachten neue Befehle; und häufig genug in der Nacht ward die sonst so einsame Dorfstraße lebendig. Aufregend wirkten vor allem auch die amtlichen Nachrichten über Spione, Brunnenvergiftungen etc. Da setzte eine wilde Hetze ein. Auf höheren Befehl wurden die Ortseingänge verbarrikadiert und mit Posten versehen. Ein jeder, der sich nicht genügend ausweisen konnte wurde angehalten und festgenommen, was nicht immer ohne Komik und Ärger ablief. – Der Ausbruch des Krieges zeigte unser Volk in herrlicher Größe. Das Gefühl der Einigkeit und Zusammengehörigkeit umschloß alle Deutschen. Freudig zog jung und alt in den „heiligen Krieg" mit dem Bewusstsein, daß es sich um Sein oder Nichtsein der Nation handelte. Fast 2 Millionen meldeten sich freiwillig, und selbst die Sozialdemokraten eilten freudig zu den Fahnen. Opferfreudigkeit beseelte auch die Daheimgebliebenen. Reichlich und gern wurden allerlei Liebesgaben gegeben. Die Bewohner von Kühlsen haben bei allen Sammlungen – und es waren deren recht viele – bis zum Schluß des Krieges das Ihrige getan und verhältnismäßig bedeutend mehr gegeben als die übrigen – reicheren – Orte der Umgegend. Es wurden an Weihnachtspaketen in den Jahren 1914: 43 Stück, 1915: 36 St. 1916: 32 St. 1917: 28 St. und 1918: 23 Stück an die Sammelstelle in Münster abgeliefert. Der Inhalt der Pakete war gut und überschritt den angegebenen Normalhöchstsatz oft um ein Vielfaches. Kühlsen marschierte bei unentgeltlichen Abgaben immer an der Spitze (verhältnismäßig). Das ist dem Schreiber dieses, der die Sammlungen selbst vollzog, von vielen amtlichen Stellen durch Anerkennungs- und Dankschreiben oft bestätigt.

Da in den letzten Jahren vor dem Kriege aus Kühlsen nur wenige junge Leute ihrer Militärpflicht genügt hatten, brauchte in den ersten Tagen der Mobilmachung nur ein Mann (Jos. Schäfers) dem Rufe des Herrschers zur Fahne zu folgen. Nach und nach wurden von den hier Beheimateten eingezogen:

1. Joseph Schäfers. Auf dem Rückzug im Sept. 1914 bei Reims schwer verwundet. 1915 als Invalide entlassen.
2. Eduard Schäfers. Bis zum Ende mitgemacht. War nicht immer Frontsoldat.
3. Johannes Neuhaus. Am 18.8.1918 aus vorderster Linie entlassen.
4. Johann Wiechers (Haus Nr. 1.) verwundet. 1918 als Invalide entlassen.
5. Joseph Wiechers ( " " ".) Bis zum Ende mitgemacht.
6. Ignatz Rode. Im April 1917 verwundet, mit dem E. K. II. (Eisernes Kreuz zweiter Klasse) ausgezeichnet, Mai 1918 auf Reklamation entlassen.
7. Joseph Breker. Am 4.7.18 vermißt gemeldet.
8. Joseph Schreiber, verwundet am 29.9.15. 1916 als Invalide entlassen.
9. Joseph Uhe, gleichzeitig mit dem vorher aufgeführten im Jan. 1915 eingezogen, immer in der Front gewesen, + am 16.4.17.
10. Theodor Ostermann, gefallen am 14.5.1917.
11. Johann Wigand, April 1918 an beiden Händen verwundet, mit dem E. K. II. ausgezeichnet.
12. Konrad Wigand, gefallen am 3.8.1916 vor Verdun.
13. Joseph Peters, nicht in der Front gewesen. Nach ¾ Jahren zum Holzfahren reklamiert.
14. Karl Uhe, im Juli 1917 in englische Gefangenschaft geraten.
15. Joseph Thewes, gefallen am 30. April 1918.
16. Georg Schreiber, nach kurzem Frontdienst zur Munitionsfabrikation beurlaubt.
17. Bernhard Jürgens, mitgemacht bis zum Schluß.
18. Franz Wübbeke, verwundet im Juni 1918, mitgemacht bis zum Schluß.
19. Johannes Kurze, nur in der Ausbildung gewesen.
 
Bei den Pferdeaushebungen wurden aus Kühlsen keine Tiere genommen, doch wurden an Händler viele Pferde verkauft. Die Preise dafür stiegen gleich zu Anfang des Krieges – und nachher immer mehr. In den Revolutionstagen gingen sie unter Friedenspreis herunter, nahmen aber bald ihre frühere Höhe wieder an. Pferde von 6000 – 8000 M waren im Kriege auch hier erzielt, und manche Familien haben alleine durch Pferdeaufzucht Tausende und Zehntausende verdient. Gleich in den ersten Tagen der Mobilmachung setzten Preissteigerungen auf dem Lebensmittelmarkt ein, bis vonseiten der Regierung Höchstpreise festgelegt wurden. Doch störte man sich an diese bald nicht mehr. Da die zugebilligten Rationen zu knapp waren, suchte ein jeder auf Umwegen seine Lebensmittelvorräte zu vermehren. Aus den Industriebezirken kamen die Notleidenden scharenweise, um alles nur Eßbare zu kaufen. Im Schleichhandel wurden geradezu wahnsinnige Preise gezahlt. Man verlor bald den Maßstab für den Wert der Ware. Um nur Einiges zu nennen: Es wurden gezahlt pro Pfund: Butter 20 M und mehr, Rüböl, 40 M, Feldbohnen 1 – 2 M, Mehl 1,50 M – 5 M, Schinken 25 M, Speck 30 M, Schweine von 200 M kosteten 2000 M. Milchkühe stiegen von 300 M allmählich auf 2500 – 3000 M; Ferkel von 3 M pro Stück im Jahre 1914 auf 150 – 200 M pro Stück im Frühjahr 1919. Unsere Lebensmittelversorgung hat während des Krieges die verschiedensten Stadien durchgemacht. Es wurde für die Erzeuger der Lieferungszwang eingeführt. Dieser wurde besonders auf dem Gebiete der Viehablieferung recht drückend empfunden, zumal die Aufkäufer – der Jude Löwenstein von Altenheerse – recht ungleich vorging. Leuten, die ihm nicht genehm waren, wurden die Tiere allmählich alle aus dem Stalle geholt. Solche dagegen, mit denen er ein privates Geschäft machen konnte, blieben verschont. So mußten die Landwirte W. Jürgens in 1 ¼ Jahren 5 Stück Großvieh, A. Pieper gar 7 Stück Großvieh in derselben Zeit liefern. Letzterem wurde eine Kuh genau 8 Tage nach dem Milchwerden aus dem Stalle geholt.

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Das Schuljahr 1914/15

Der Ausbruch des Weltkrieges blieb auch nicht ohne Einfluß auf die Schule. Bei der sich von Tag zu Tag steigernden Aufregung, die sich auch auf die Kinder übertrug, war an ein gedeihliches Unterrichten nicht mehr zu denken. Die Gedanken der Kleinen waren bei den Soldaten da draußen. Freudig und gern halfen sie bei allen Werken der Kriegsfürsorge. Die Mädchen strickten Strümpfe, Kopfhauben, Knie- u. Pulswärmer; die Knaben gingen täglich nach Neuenheerse, um die Postsachen fortzubringen und abzuholen, da kein Postbote fungierte. Erst im Februar wurde auch der zweite Aushelfer eingestellt, und wir bekamen die Postsachen wieder amtlich zugestellt. Die Kinder halfen bei allen Sammlungen. Und was ist im Kriege nicht alles gesammelt worden: Geld, Lebensmittel, Kleidungsstücke, Knochen, Messing, Kupfer, Nickel, Eisen, Brennessel, Brühheu (?), Ähren, Fabrikate aus Gummi, Frauenhaare usw.
Die gedienten Lehrer aus den Nachbarorten wurden gleich in den ersten Tagen der Mobilmachung eingezogen. Nach den Herbstferien übernahm Schreiber dieses (also der Verfasser dieses Textes) die Vertretung an der Schule in Altenheerse. Dort wurden an 5 Tagen morgens 4 Stunden, für im ganzen 16 Stunden Unterricht erteilt. Die Nebenfächer wurden teilweise ganz gestrichen, teilweise gekürzt. Die Zeit machte es notwendig, in der Vaterlandskunde besonders auf die
Gegenwart Rücksicht zu nehmen. Der Unterricht ist durch die Kürzung sehr erheblich. Zudem wurden die Kinder zu allen möglichen Arbeiten daheim herangezogen, um so mehr, je weiter wir in den Krieg hineinkamen. Die Arbeitskräfte lichteten sich durch die Einberufungen sehr stark. An Hausarbeiten für die Kinder war gar nicht zu denken, und in der Schule fehlte die Oberstufe zumeist ganz, manche Kinder waren im letzten Schuljahr ganz vom Unterricht beurlaubt. Im Winter 1915 wurde das Geburtsfest des Kaisers in der Schule zu Altenheerse gefeiert. Auf 3 großen Schlitten fuhren wir Kühlser nach A. Die Landwirte von hier hatten die Gespanne kostenlos zur Verfügung gestellt. Das Schuljahr schloß am 25. März. Es wurden 2 Knaben und 2 Mädchen entlassen.

 

1. Weltkrieg Kuehlsen 1914-1-5

 

1. Weltkrieg Kuehlsen 1914-2-5

 

1. Weltkrieg Kuehlsen 1914-3-5

 

1. Weltkrieg Kuehlsen 1914-4-5

 

1. Weltkrieg Kuehlsen 1914-5-5

2014 übersetzt von Jörg Glunz (Ortsheimatpfleger).