Weitere Ortsgeschichten

Mai 1900.

Deutscher Lenz! Das Mailüfterl haucht Eis aus Nordwest oder Nord; Scheit auf Scheit wandert in den Ofen, und am Morgen blinken die Ziegelpfannen vom nächtlichen Reife. Eins kommt dann zum andern. Das Land der Chauken (friesischer Germanenstamm) kann es nie unterlassen, jenen Luftzug mit seinem ureigensten Erzeugnisse zu schwängern. Europa und die benachbarten Inseln schimpfen und wettern über den Stänker und Störenfried. Nicht ohne Recht. Damit einige Tausend alle 6 – 8 Jahre ein anderes Streifchen Buchweizen bauen können, müssen Millionen sich täglich ärgern und aufregen. Am Nachmittag oder auch schon früh zeigt das Luftmeer plötzlich braungelbe Streifen, die Sonne ist nur noch ein lichterer Punkt, und überallhin zieht ein feiner, brenzeliger Gestank. Haarrauch Höhenrauch, sagt der Schriftdeutsche, Heiderauch der Dorfbewohner. Letzterer bezichtigt ihn auch als Verderben der Obstblüte und verwechselt also wohl die Begleiterscheinung mit der Hauptsache. Der Mai von 1900 war nicht besser als seine Vorgänger. Kühl und unfruchtbar, mit wenig Regen. Erst im letzten Drittel stieg die Wärme. Noch am 19. flockte es ins Blättergrün; am Tage darauf dicke Graupeln! An andern Orten Deutschlands hats handhohen Schnee gegeben. –

 

August 1900.

Die Himbeeren im Kirchberge waren wieder einmal ziemlich gut geworden. Die Büsche mit den schnell reifenden Beeren stehen zwischen den Buchenstänglein zu beiden Seiten des Kirchpfads und werden nach einigen Jahren verschwunden sein, sobald das Gebüsch sie zuschattet. Wie kamen sie so schnell dorthin? Anno 88 stand am ganzen Abhange vorzüglicher Buchenhochwald, der nur Sauerklee und Waldmeister zu seinen Füßen sah. Die schlanken Stämme mögen ihre 70 Jahre erreicht haben und darüber. In all dieser langen Zeit schlief also das Beerenzeug als tote Wurzel im Buchenschatten? Jetzt beginnt die Abwechslung von neuem. Ob nach 60 Jahren die Kühlser Schulkinder, hauptsächlich die kleineren, noch so ungehorsam sein werden, wie die jetzigen vielfach es waren? Trotz meines Verbotes, zur und von der Kirche sich nicht aufzuhalten, konnten sie das Naschen in den Büschen niemals ganz unterlassen. Sieht man doch sogar die Alten nach dem Hochamt an dem Gerank herumzupfen: Sicher aus Geiz, die roten Füchtchen einem Nachkommenden überlassen zu müssen, wo zu Hause das kräftige Sonntagsessen auf dem Tische wartet oder doch warten sollte, denn mit der häuslichen Ordnung ists hier nicht gut bestellt. Im vorgen Jahre 99 liefen einige Kerls sogar während des Hochamts in den Büschen herum, mit vorgebundnem Eßkessel nach den Beeren haschend, die ihre Weiber in Handkörben nach Driburg brachten, wo sie für das Pfund 15 Pf. erlösten. An einem Werktagnachmittag hatte eine Frau 20 Pfund gepflückt und kaufte für den Verdienst ihrem kleinen Sohn ein Paar neue Schuhe.